Sexwork I: Sexarbeit im Zeitalter der Globalisierung
„Arbeitsmigration, Trafficking, Sextourismus“ ist das Thema unter dem im Kunstraum Kreuzberg Arbeiten gezeigt werden, die sich mit Sexarbeit und Massensextourismus im Zeitalter der Globalisierung und zunehmender Mobilität beschäftigen. Österreich beispielsweise gilt aktuell als die Drehscheibe für so genannte „white slavery“. Damit ist der Handel mit Prostituierten aus Osteuropa gemeint, mit dem sich die Videoarbeit „Wilder Westen“ (2006) von „diekönigin“ (Claudia Dworschak und Marion Geyer-Grois) aus Linz auseinandersetzt.
Rommelo Yu, Creatures of Comfort, 2003, Tuschezeichnung auf Papier und Holz
Alle Rechte vorbehalten: Der Künstler
Viele der Exponate in der Ausstellung im Kunstraum Kreuzberg sind sehr ambitioniert und aufklärerisch im besten Sinne des Wortes, nicht wenige kämpfen jedoch mit der Schwierigkeit die sozio-politische Reflexion, die sie leisten, in eine angemessene und überzeugende künstlerische Form zu bringen.
Bemerkenswert subtil und formal sehr interessant sind hier zwei Zeichnungen: „Toiles-de-Jouy“ von Jean-Ulrick Déserts und „Creatures of Comfort“ von Rommelo Yu. Daneben überwiegen die Medien Fotografie, Video und Film, vielleicht auch, weil ihnen ein mutmaßlich dokumentarischer oder gar objektiver Blick auf das Problem zugeschrieben wird.
Birgit Hein, Baby I will make you sweat, 1995, Still
Alle Rechte vorbehalten: Die Künstlerin
Lohnend ist der Besuch der Ausstellung allein schon wegen eines vordergründig politisch vollkommen unkorrekt erscheinenden Filmbeitrags von Birgit Hein. „Baby I will make you sweat“ (1994, 16 mm, 63 Min.) ist ein autobiografischer, im Tagebuchstil erzählter Film über mehrere Reisen der Filmemacherin aus dem von ihr als kalt und trist empfundenen Deutschland in das warme, lebensfrohe und grüne Jamaika. Die Erlebnisse von Strand, Sonne, Palmen und die Begegnungen mit verschiedenen jungen Männern werden von dem von ihr selbst aus dem Off gesprochenen Kommentar in Form von tagebuchartigen Notizen begleitet und bekommen dadurch, bei aller Brisanz des Themas, etwas sehr poetisches. Ein hungrig im Müll stöbernder Hund oder nach Aas Ausschau haltende Vögel sind immer wieder in die Idylle hinein geschnitten. Dieses Abschweifen, wie auch der ausführliche Bericht in Bild und Text darüber, dass die Männer, die die Filmemacherin trifft, ständig Cannabis rauchen und sich dadurch manchmal unangenehm verändern, stören den gleichmäßigen, trägen Fluss der wenigen Ereignisse. Zunächst scheint der Film keinerlei Reflexion über Sextourismus im Zeitalter zunehmender touristischer Mobilität und Globalisierung zu leisten. Doch er funktioniert bei näherem Hinsehen und -hören wie ein eindringlicher Kommentar zu diesem Phänomen, der ein paar Fakten einfach nüchtern benennt und abbildet: zum Beispiel die offensichtliche Armut im bereisten Land, die sich in Form von Wellblechhütten oder schadhaften Gebissen zeigt oder das finanzielle Gefälle zwischen ihr und den Männern, mit denen sie schläft. Vieles dringt wie nebenbei erst über den Text aus dem Off so richtig ins Bewusstsein. Sehr reflektiert und präzise bringt die Künstlerin die Möglichkeiten des Mediums zum Einsatz und alles ist dabei so hervorragend, interessant und faszinierend gemacht, dass andere Arbeiten in der Ausstellung dagegen blass oder gar hölzern wirken.
Birgit Hein, Baby I will make you sweat, 1995, Still
Alle Rechte vorbehalten: Die Künstlerin
Der Film über eine weiße, alternde Frau, die alleine nach Jamaika reist und dort zunächst eher zufällig, dann jedoch mit zunehmender Lust verschiedenen sexuellen Abenteuern nachgeht, und der 1995 im Forum der Berlinale zu sehen war, brachte Birgit Hein diverse Anfeindungen ein. Besonders seine Kontextualisierung im Rahmen dieser Ausstellung, nimmt ihm jedoch jede Zweifelhaftigkeit. Am Ende sind es Arbeiten wie die ihre, die rechtfertigen, dass das in der Ausstellung verhandelte Thema nicht allein der Soziologie, der Sozialarbeit oder der Rechtswissenschaft überlassen werden sollte.
Sonntag, 4. Februar 2007 um 4.28 Uhr
Danke für den Beitrag. Ich finde es sehr wichtig, dass auch die Kunst dieses Thema verarbeitet, denn es ist hochbrisant und eine Lösung scheint nicht in Aussicht zu sein. Die Gesellschaft ist viel zu tolerant in diesen Angelegenheiten!